(NM) Faszination „Orange Wines“? Für die einen sind diese Weine ein offenes Buch der Wein(bereitungs)fehler, für andere ein Eldorado an Komplexität, Diversität und Individualität. Der Name bezieht sich auf die Farbe der Weine. Der Wein der etwas farbintensiveren Weißweintrauben (wie z.B. Malvasia) bekommt durch ihre teilweise Monate lange Maischegärung schon in ihrer Jugend eine zarte Orange Farbe. Dieses Verfahren wird in der Regal nur bei Rotweinen angewandt, um die Farbe und das Tannin aus den Schalen und Kernen zu gewinnen. Eine Maischegärung auf den Schalen wird bei „normalen“ Weißweinen möglichst vermieden. Und genau dort liegt der Streitpunkt. Durch die lange Maischegärung auf den Schalen entstehen für Weißweinverhältnisse außergewöhnliche Aromatiken, welche gerne auch als „Fehlton“ interpretiert werden. Hier scheiden sich ganz schnell die Geister. Gerade in Deutschland gibt es so gut wie keinen Markt für „Orange Wines“, in Österreich, Japan oder USA hingegen zählen diese Tropfen mit zu den gesuchtesten Überhaupt. Angebot und Nachfrage?
Generell sind „Orange Wines“ keine einfachen Trinkweine. Es ist sehr schwer sie in normale Weinproben einzubauen, da sie durch ihre besondere Art sofort auffallen. Idealer Weiße sollte man gleich mehrerer solcher Weine verkosten bzw. nur eine einzelne Flasche als Essen- oder Abendbegleitung einsetzen. Wo wir auch schon bei einem der spannendsten Punkte wären: Orange Wines als Speisenbegleitung. Diese war die zweite Drunkenmonday „Orange Wines“ Probe bis jetzt. Somit konnten wir bereits ausgiebig die Wechselwirkung der Weine mit den verschiedensten Speisen testen und ausprobieren. Viele der Weine passten ungemein gut breit gefächerten Käse und Wurstplatte. Egal ob Thunfisch/Kapern Creme, alter Comtes, Parmaschinken oder Pfefferbeißer, die Weine bildeten oft ausgesprochen harmonische Geschmacksbilder zusammen mit den Speisen am Gaumen. Teilweise entstanden sogar sensationellen Geschmackskombination.
Wir starteten mit zwei Weinen des Weingutes „Radikon“ aus Oslavia/Collio. Stanko Radikon verzichtet seit dem Ende des letzten Jahrtausends völlig auf Schwefelung und Filtration seiner Weine. Seine Biodynamisch erzeugten Weine sind für mich die Definition des „Naturweins“. Sie sind Eigenständig wie Einzigartig. Der 2009 „Slatnik“ (80% Chardonnay / 20% Tokai Friulano – 5 Tage Maischegärung auf den Schalen) von Radikon war zu Beginn der Probe direkt ein Wurf ins kalte Wasser. Die Nase roch nach Orangeat, Polyboy Möbelpolitur und getrockneter Aprikose. Am Gaumen überrumpelte uns eine markante Säure, wie wir sie selten erlebt haben. Obwohl er von der Aromatik her verschlossen wirkte (jung!), wirbelte die Säure im Verbund mit straffen Tannin und einer Tee-ig oxydative Note im Mund umher. Ein Biest von einem Wein. Wegsperren! Mindestens für 3-5 Jahre! Der „Kevin allein zu Haus“ Wein. 88+ Punkte. Der 2004er Oslavje (3 Monate Maischegärung), ein Blend aus Pinot Grigio, Chardonnay, Sauvignon Blanc, zeigte sich uns zwar deutlich ruhiger, aber nicht weniger aufregend. Die Nase ist ein Gedicht: Orangeat, Zitronat, Kinder Em-Eukal und Kamille. Am Gaumen dann die nächste Überraschung: Der Wein transformiert sich geschmacklich von getrockneten Früchten, über Kamille/Kräuter/Tee hin zu Nuss und Mandelschalen. Transformer-Wein! Extrem, aber auch extrem gut! 93-94 Punkte!
Weiter ging es mit zwei Weinen von Dario Princic. Dario ist einer der Gründerväter der Vini Veri, einer Assoziation Italienischer Naturwein-Produzenten, welcher auch Clai und Radikon angehören. Er selbst baut schon seit über 20 Jahren seine Weine unter Biodynamischen Gesichtspunkten aus. Auch Dario kommt wie Stanko Radikon aus dem Ort Oslavia, nahe der Slowenischen Grenze. Als erste Wein von Dario Princic probierten wir ein 2007er Ribolla Gialla (2 Monate Maischegärung). Welch abgefahrene Nase: Herber/trockener Honig, Erdnüsse, Salz, Pfeifentabak und ein paar wenige getrocknete Aprikosen. Im Mund fokussiert und dicht auf der Zunge. Feines Tannin und eher einer der „leichteren“ Orange Wines des Abends. Im Abgang notierte ich „geröstete Mandelsplitter“. Nicht uninteressant – 88 Punkte. Weiter ging es mit dem 2007er „Trebez“ von Princic (5-7 Tage Maischegärung). Ein Cuvée aus Chardonnay, Sauvignon Blanc und Pinot Grigio. Auch hier finden wir außergewöhnliche Aromatiken in der Nase. Zuerst wird man von einer Welle tropischer Früchte wie Passionsfrucht, Mango und reifer Ananas erschlagen, doch dann gesellen sich deutliche Töne von grünem Tee, Salbei, Heu und Rosenwasser hinzu. Eine wirklich einmalige Aromen Konstellation. Am Gaumen legt er noch einen drauf. Eine seidige und runde Textur mit geschliffenem Tannin legt sich um die Zunge. Druck, Eleganz und Intensität – harmonisch kombiniert. Ein großartiger Wein. 92 Punkte.
Der nächste „Orange Wine“ Winzer auf unserer Agenda ist Giorgio Clai. Der Kroate kehrte 2001 nach Istrien, genauergesagt in den kleinen Ort Krasica in der Nähe von Buje zurück, um sich seinen Traum Naturnahe Weine herzustellen zu erfüllen. Zuvor hatte er 20 Jahre in Triest ein Restaurant geführt. Auch Clai arbeitet 100% biodynamisch. In seinen Weinbergen werden keine Pestizide oder Düngemittel eingesetzt und alle seine Weine werden spontan vergoren. Giorgio ist zudem ein großer Fan seiner eigenen Weine. Er legt so gut wie keine seiner Weine zurück, sondern trinkt diese lieber selbst. Das optimale Geburtstagsgeschenk für ihn sei es, wenn man ihm seine eigenen Weine zurück schenkt. Netter Kerl. Doch nun zu seinen beiden Weine. Als ersten hatten wir den 2009er Clai Ottocento im Glas (5 Tage Maischegärung). Ein Cuvée aus Sauvignon Blanc, Chardonnay, Pinot Grigio und Malvasia. Wie nicht anders zu erwarten, roch auch dieser Wein äußerst außergewöhnlich. In der Nase leichte Käsefußaromatik mit Feige, Heu, Salz und etwas, was an leicht getorften Whisky erinnerte. Am Gaumen dann so etwas wie eine Überraschung. Der Wein ist relativ leicht und schlank, mit gut integrierter Säure und harmonischem Geschmacksbild. Einzig die 14,5% Alkohol wirken hier etwas abseits. Vielleicht deswegen notierte ich „Whisky?“. Gut, aber nicht so herausragend wie manch anderer Wein der Probe. 87 Punkte. „Sv. Jakow“ (3 Monate Maischegärung) hieß der zweite Wein von Giorgio Clai an diesem Abend – ein reinsortiger Malvasia aus dem Jahrgang 2009. Auch hier spielte die Aromabar in der Nase außergewöhnliche Klänge: Kandierte Aprikosen, Salbeibonobon, Honigmelone, Rapsöl und Heu. Am Gaumen gesellte sich noch eine merkwürdige harzige Komponente dazu. Ein Wein der den Tisch teilte. Auch dem Sv. Jakow standen die 14.5% Alkohol im Moment nicht gut. Dies scheint aber wohl generell ein Problem Giorgios Weine in der Jugend zu sein. Der Extrakt, die Dichte, das Tannin – alles stimmt, nur der Alkohol legt sich wie ein Film über den Wein. Schade, denn aromatisch einer der spannendesten Weine auf dem Tisch. 88-91 Punkte?
Der letzte Flight des Abends bestand aus zwei Weinen von Roxanich und einem von Vodopivec. Der 2007er Roxanich „Antica“ ist ein reinsortiger Malvasia, welcher 3 Monate auf der Maische auf den Schalen gärte. Wie auch schon bei unserer letzten Orange Wine Probe konnte der Antica absolut überzeugen. Gewürzkuchen, Mandeln, Trockenobst, nussige Aromen und etwas Chlor kickten an der Nase. Auch am Gaumen zeigte der Wein getragen von einem „geilen“ Tannin und einer fast schon rauchig anmutenden Aromatik wahre Größe. Faszinierend zu sehen, wie die oxydativen Aromen mit den komplexen Noten des Malvasia eine Einheit bilden. Diese Weine wirken selbst mit 4 Jahren Flaschenreife noch wie Babies. Ein Orange Wine „Prototyp“: 92-94 Punkte. Gegen den Antica wirkte der folgende 2007er Milva von Roxanich regelrecht brav. Dieser reinsortige Chardonnay gärt nur 5 Tage mit den Schalen auf der Maische. Herauskam ein Wein, der am heutigen Tage einem „normalen Weißwein“ am nächsten kommt. In der Nase wirkt der Milva frisch und leicht kräutrig, mit Aromen von Zitronengras, getrockneten Aprikosen, etwas Zitronat und feiner Wallnussschale. Auch am Gaumen kommt er klar und frisch daher. Die leicht holzige Würze ist bestens integriert, die Säure straff aber nicht ausladend. Zwar immer noch kein Chardonnay wie man ihn aus der breiten Masse kennt, aber auf der „Orange Wine Skurrilitäts Skala“ relativ weit unten anzusiedeln. 90 Punkte. Der letzte Wein des Abends war der 2005 Vodopivec Vitovska Classica. Einen Wein, welchen wir auch in der 2004er Version nicht wirklich verstanden haben. 9 Monate Maischegärung auf den Schalen und 20 Monate Ausbau in Tonamphoren. Wir erwarteten großes, doch wurden etwas enttäuscht. In der Nase suggeriert dieser gerade erst auf den Markt gebrachte Vitovska mit Aromen von Honig, Getreide, Aprikosen und etwas Vanille eine gewisse Süße, welche aber am Gaumen durch eine Knochen trocken und fast schon karge Art sofort zu Nichte gemacht wird. Das kräftige Tannin wirkt austrocknend. Alles in allem zeigt er sich im Moment aromatisch etwas eindimensional und verschlossen. Doch wird er sich jemals öffnen? Ein schwieriger Wein. Keine Wertung.
Fazit?
Schwierig. „Orange Wines“ scheiden definitiv selbst erfahrene Weintrinken. Ein Großteil unserer Runde lässt sich aber ausgesprochen gerne auf solche Proben mit dieser Art von Weinen ein. Es sind teilweise grenzerweiternde Geschmackserfahrungen, die aber jeder offenen und interessierte Weintrinker/Kenner/Freak einmal gemacht haben sollten. Schlussendlich liegt dann die Entscheidung ob man so etwas „mag“ oder nicht wohl bei einem selbst. Zum Wohl!
Weitere Infos:
Alle Weine sind bei www.orange-wines.com zu erwerben.
Zu Besuch bei Roxanich.
„Roter Terran“ von Roxanich bei Drunkenmonday
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Keine „einfachen“ Weine, im Sinne von „anders als die Anderen“, aber ich finde sie immer sehr lebendig und auch sehr trinkig. Sehr schöne Probe! Grüße.
Die vielfältigen Möglichkeiten Wein zu bereiten sind ja gerade das was Wein so vielfältig macht und damit erst interessant.
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