(JR) Die Meinungen bezüglich der Weine aus dem Bordeaux sind in unserer Weinrunde geteilt. Neben langjährigen Fans wie Marc Colavincenzo oder meiner Wenigkeit stehen Skeptiker – allen voran Nico Medenbach (NM) – welche die Weine im internationalen Vergleich für schlicht zu teuer halten. Super Thema für eine Montagsprobe der besonderen Art. Preisobergrenze war 35.-€ pro Flasche. Da sollte sich inner- und außerhalb von Bordeaux etwas „Anständiges“ finden lassen, was sich differenziert vergleichen lässt. Zwei Rotweine aus dem etwas schwächeren aber jetzt gut trinkbaren Bordeaux Jahr 2004 stehen sieben Herausforderern im Ring gegenüber.
2004 Chateau Cantemerle (Bordeaux)
2004 Chateau Poujeaux (Bordeaux)
2002 Cantina di Santadi „Terre Brune“ (Sardinien)
2004 Clos de la Belle (Rhone)
2004 Clos Rougeard Saumur-Champigny „Les Poyeux“ (Loire)
2004 Dei Vino Nobile di Montepulciano „Bossona“ Riserva (Toskana)
2007 Parusso Barolo (Piemont)
2005 Roxanich Merlot (Istrien)
2005 Chateau de Pibarnon (Bandol)
Die Spielregeln: Wie üblich wurden alle Weine blind in zufälliger Reihenfolge verkostet. Es herrschte zudem „Redeverbot“ in Bezug auf die Weine, um eine gegenseitige Beeinflussung auszuschließen. Jeder Teilnehmer erstellte während der Probe sein individuelles Ranking von Platz eins bis neun. Am Ende wurden die Einzelbewertungen aufsummiert und zusammen mit dem Gesamtergebnis besprochen. Die Summen der Einzelplatzierungen sind zur besseren Orientierung mit angegeben. Die ganze Verkostung habe ich nach den Regeln des Faustkampfes beschrieben. It´s Showtime!
Platz 9 „Time Out“
2004 Clos de la Belle (66) ca. 30€
Obwohl nur als einfacher ‚Vin de pays du Gard‘ deklariert, haben wir es hier mit einem südfranzösischen Charakterkopf aus 100% Syrah zu tun. Die Nase als ungewöhnlich zu beschreiben wäre eine Untertreibung. Neben Brombeer-Brausestäbchen, floralen Noten (Lavendel?) und deutlichen Anklängen von Nelken und Lakritze stehen aufdringliche Aromen wie Mottenkugeln, Möbelpolitur und Ammoniak. Dazu Gerüche von Speck und Schweinefleisch. Uns hat das allen nicht so gefallen. Am Gaumen setzen sich die Tiefschläge leider fort. Die Brombeerfrucht wirkt künstlich. Das Mundgefühl ist weich aber gleichzeitig seifig, „muffig“ und unangenehm. Syrah-Geschmack wo bist du? Erst nach einigen Minuten im Glas und viel „Arbeit“ kann man die gute Struktur des Weines (weiche Gerbstoffe, Mineralik, stützende Säure), hinter der aufgesetzten Aromatik ausmachen. Ohne Mundschutz geht hier gar nichts. Wer sich sein eigenes Bild machen möchte, kann den Wein hier beziehen.
Platz 8 „Technisches K.O.“
2007 Parusso Barolo (59) ca. 32€
Das Familienweingut Armando Parusso liegt auf einem Hügel zwischen Montforte d’Alba und Castiglione Falletto und versucht sich hier schon seit einiger Zeit an einer Balance zwischen piemontesischer Tradition und modernem, fruchtbetontem Zeitgeschmack. Der nach DOCG-Bestimmungen zu 100 % aus Nebbiolo bestehende Parusso Barolo hat dieses Ziel leider nicht erreicht. Schon die Kirschjoghurt betonte Nase zeigt merkwürdige süße, laktische Töne, die sich auf der Zunge weiter fortsetzen und hier zu getrockneten Bananen und süßlicher Milchsäure mutieren. Bei diesem Spiel mit der Moderne ist wohl technisch im Weinkeller etwas schiefgelaufen. Ich tippe da auf die malolaktische Gärung. Auch ein Flaschenfehler wurde als möglicher Grund in der Runde kontrovers diskutiert. Ärgerlich, denn die traditionellen, klassischen Tugenden eines Barolo sind deutlich ausgeprägt: prominente aber feine Tannine, Schokolade und eine leichte Pfeffrigkeit hätten den Wein ohne die „Merkwürdigkeiten“ sicher in der Bewertung weiter nach vorne gebracht.
Platz 7 „Angezählt“
2004 Chateau Cantemerle Grand Cru Classé (45) ca. 32€
Chateau Cantemerle ist eines der Weingüter, welches mich sofort für Bordeaux begeistert hat. Die Weine sind in der Regel immer sehr zugänglich und zeigen trotzdem Tiefe und Komplexität. Zudem sind Preis und Leistung für einen Cinquième Cru schon immer hervorragend gewesen. Doch in dem etwas verregneten Jahr 2004 musste auch Bordeaux einige Treffer einstecken. Davon merkt man in der schönen Nase zunächst nichts. Ganz im Gegenteil. Das Bouquet mit Aromen von schwarzen Früchten, Veilchen, Lakritze und Tabak, unterlegt mit Röstnoten und Vanille, war eines der schönsten an diesem Abend. Im Antrunk zunächst ein Fruchtentreé, dann legen sich grüne, adstringierende Gerbstoffe auf die Zunge und eine relativ starke Säure verpasst dem mittel schlanken Körper den ein oder anderen Cross-Schlag. Im Abgang relativ viel Alkohol.
Platz 6 „Punch“
2002 Cantina di Santadi Terre Brune (41) ca. 35€
Der Terre Brune ist ein reinsortiger Carignano (frz. Carignan) Wein, der im Barrique ausgebaut wird. Obwohl der 02er nicht so herausragend wie der 01er ausgefallen ist, tänzelt der Wein sehr kraftvoll im Ring. Tolle Nase von Schokolade, Capuchino, Kakao, dunklen Beerenfrüchten , Kräutern und „Ätherischem“ (Eukalyptus?). Der Kakao macht auch geschmacklich deutlich auf sich aufmerksam. Allerdings zeigt der Terre Brune entgegen so mancher Beschreibung im Internet nicht viel Eleganz. Alles wirkt deftig, dicht, weich und voll. Wie ein verkannter Portwein mit relativ wenig Nuancen. Mit etwas Luft kommen Rosinen und Ledertöne hinzu, die diesem etwas plakativen Wein gut stehen. Fazit: Ein Haudrauf von geballter Männlichkeit, der für so manchen Knock-out gut ist, es aber an Finesse vermissen lässt.
Platz 5 „Boxschule“
2004 Dei Vino Nobile di Montepulciano „Bossona“ Riserva (37) ca. 30€
Der sortenreine Spitzenwein des Weingutes „Dei“ stammt aus der Cru Lage „Bossona“ über dem Val di Chiana. Die rote Rebsorte Prugnolo Gentile ist etwas Besonderes. Sie ist ein Klon des Sangiovese, erinnert geschmacklich – nomen est omen – an Schlehen und Pflaumen und wird heute ausschließlich in Montepulciano angebaut. Die Riserva wird 24 Monate in großen (Eichen-) Fässern ausgebaut und ruht vor dem Verkauf 12 Monate auf der Flasche. Das verspricht ein langes Reifepotential von bis zu 20 Jahren! Zuerst sticht die schöne Farbe ins Auge: funkelndes Rubinrot, am Rand etwas heller werdend. Leider ist die feine Nase zunächst sehr verschlossen. Erst nach einer Stunde zeigt sich ein dezenter Kirschen- und Veilchenduft. Mehr als entschädigt wird man durch den Geschmack. Die Säure verleiht dem elegant-schlanken Körper die passende Frische. Die feine Kirschfrucht wird durch feinkörnige, aber immer noch nicht ganz ausgereifte Gerbstoffe flankiert. Tolles Finale. Trotz des Alters präsentiert sich der Dei Vino Nobile di Montepulciano noch mit einer etwas ungestümen Jugendlichkeit und manchen Bittertönen. Mit Sicherheit aber haben wir es hier in vier bis fünf Jahren mit einem angehenden Champion zu tun, der so manchem Rivalen im Ring das Fürchten lehren wird.
Platz 4 „No Standing Eight Count“
2005 Chateau de Pibarnon (37) ca. 35€
Vinifiziert aus 90 % Mourvédre und 10 % Grenache erinnert diese mineralische, verschlossene Cuveé aus der Provence an einen viel zu früh geöffneten Bordeaux. Sehr dicht, kraftvoll und fruchtig kommt dieser Kerl daher. Die Vanillekirschfrucht wird von einer anständigen Säure belebt, alles wirkt aber noch sehr kompakt und „zu“. Die Gerbstoffe fallen adstringierend und fein aus, stehen aber noch etwas abseits im Ring. Langer Abgang, der retronasal mit würzigen Komponenten ausklingt. Viel Potential. Zur Zeit ist es recht schwierig zu beurteilen, ob wir hier wirklich einen Siegertypen im Glas haben.
Platz 3 „Crusiergewicht“
2005 Roxanich Merlot (36) ca. 29€
Etwas zu kalt serviert, taute der Wein nach und nach auf. Klassische Bordeaux-Nase mit Cassis, deutlichen Röstnoten, Schokolade, etwas Tabak und Cigarbox. Das hat so manchen in der Blindprobe auf die falsche Fährte geführt. Sehr druckvoll tanzt der Roxanich durch den Ring. Die Säure fällt moderat aus und ist gut in die Kirschfrucht eingebunden. Die Tanninstruktur ist ausgereift, der Wein befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung und ist über die kommenden ein-zwei Jahre mit viel Genuss zu trinken. Im Abgang etwas alkoholisch. Eine der wenigen Bezugsquellen in Deutschland findet man bei unserem DM-Mitglied Jochen Leeder unter http://orange-wines.com .
Platz 2 „Bobbing and weaving“
2004 Chateau Poujeaux Moulis (25) ca. 30€
In der letzten DM-Bordeaux Weinprobe noch mit fiesem Kork, konnte der 04er Poujeaux diesmal beweisen, was in ihm steckt. Ein absoluter Spitzenathlet mit ausgefeilter Technik und viele Eleganz steht hier in der Ringecke. Beeren, Rauchnoten, Veilchen, Kräuter und Lorbeeren in der Nase. Im Gaumen kommt der Wein sehr fruchtbetont, weich und füllig daher, ohne aber mollig und schwer zu wirken. Die Säure und die Mineralik geben eine schöne tänzelnde Frische mit, so dass alles sehr harmonisch und komplett wirkt. Die Tannine sind schön ausgereift und der mittellange Abgang spült Schokolade, Kräuter und Lakritze hoch. Lecker. Ein toller, sehr trinkiger Wein, der alle am Tisch überzeugen konnte.
Platz 1 „And the winner is…“
2004 Clos Rougeard Saumur-Champigny „Les Poyeux“ (14) ca. 39€
Der Clos Rougeard hat uns alle umgehauen, um in der Boxersprache zu bleiben. Allerdings hat Nico hier preislich gesehen nicht ganz fair gespielt. Wie dem auch sei, die eindeutigen Bewertungen sprechen für sich. Die Brüder Jean-Louis und Bernard Foucault zaubern hier eine Qualität ins Glas, die man – Preis unabhängig – nicht alle Tage geboten bekommt. Aus 100% Cabernet Franc vinifiziert, entströmen dem Glas Johannisbeere, grüne Paprika, Kräuter (Estragon?), Kirsche, Zeder- und Veilchenduft. Dies ist ein sehr eleganter, emotional berührender Wein, bei dem zuerst die wahnsinnig feine, „grippe“ Tanninstruktur und die intensiv-feine Frucht auffällt. Die damit einhergehende Frische wird von einer angenehmen Säure getragen, die den richtigen Kick gibt und sehr gut in die Beerenfrucht eingebunden ist. Das alles gipfelt in einem Abgang von wahnsinniger Länge. Dies ist mit Sicherheit einer der besten Cabernet Franc Weine aus ganz Frankreich und zur Zeit noch total unterbewertet.
Fazit
Außer dem Sieger konnte kein reinsortiger Herausforderer die Bordeaux Cuveé von Poujeaux schlagen. Die große Enttäuschung des Abends war der 04er Cantemerle, von dem ich mir deutlich mehr Qualität erhofft hatte. Clos Rougeard ist die Entdeckung des Abends. Wir bleiben am Thema dran und werden uns in einer der kommenden Proben intensiver mit diesem Kleinod französicher Winzerkunst beschäftigen.
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