Weinrallye #45: Peter Züllig – Die Welt des Alters

Die Welt des Alters

Gastbeitrag von Peter Züllig zur Weinrallye #45

Mythen umranken alte Weine. Man spricht ihnen gar magische Kräfte zu. Doch – was heisst schon alt? Elf Jahre, wie es die Vorgabe für diese Rallye verlangt? Fünfzig Jahre oder gar ein Jahrhundert? Unter Weinliebhabern taucht rasch einmal die Frage auf: „Wie alt war der älteste Wein, den Du je getrunken hast?“ Auch ich, ein bekennender Altweintrinker, bekomme die oft zu hören. Doch ich weiss es nicht, ich führe kein Guinnessbuch der Rekorde. Trotzdem: alte Weine üben eine seltsame Faszination aus: ein Mischung aus Respekt, Ehrfurcht, Neugier, Staunen. Irgendwann, als ich mich schon tüchtig in Bordeaux-Weine verliebt hatte, wollte auch ich eine alte Flasche, einen alten Bordeaux in meinen damals noch ziemlich leeren Keller legen. Also erstand ich auf einer Internetauktion meine erste Uraltflasche. Damals waren die Jahreszahl und der Name des Weinguts auf der Etikette noch knapp lesbar. Ganz sicher war ich aber nicht: St-Julien, wohl Châteaux Glana, Jahrgang in den Vierzigern, vielleicht 43 oder 45? . Der Wein liegt immer noch im Keller, zwischen andern Fossilien des Bordelais, grosse Namen aus sogenannt schwachen Jahrgängen. Inzwischen ist auf der Etikette kaum noch etwas zu entziffern. Für mich ist diese alte Flasche zum Sinnbild – oder Maskottchen – alter Bordeaux geworden. Unantastbar. Ich weiss also nicht, wie er wirklich schmeckt, dieser Wein. Anders? Besser? Enttäuschend?

Sie ruhen im Keller..
Das Alter allein kann es nicht sein, das weiss ich jetzt nach vielen Altweinen, die ich getrunken habe: Legendäre Jahrgänge wie 1961 – ein sensationeller „Latour à Pomerol“ zum Beispiel. 1947 – ein wunderbarer Margaux. Sogar einen 53er Pétrus, der – wie alle Pétrus, die ich bisher im Glas hatte – enttäuschte: zu gross sind da die Erwartungen.

Die Erwartungen? Was ist denn besonderes Altweinen – ausser dem meist symbolträchtigen Jahrgang? Wie schmecken Altweine überhaupt? Dies frägt kaum jemand: die Jahreszahl ist wichtiger, der Mythos überlagert den Genuss. Gibt es konkrete Angaben und Vorstellungen wie ein Altwein zu sein hat? Nicht nur die Weine, auch die Wahrnehmungen sind verschieden und die Erfahrungen – im Vergleich zu Jungweinen – sind eher spärlich. Natürlich erkennt man ein gewisses Wein-Alter an der Farbe: leicht bräunlich bis ziegelrot. Aber was wird da mit der Nase, was wird im Gaumen wahrgenommen? Fruchtaromen – auf die man sich bei jungen Weinen fast ausschliesslich konzentriert – machen sich bestenfalls im Hintergrund bemerkbar, oft bleiben sie sogar ganz weg. Ein Grund, dass viele Weintrinker Altweine nicht mögen. Sie passen so schlecht in das heutige Erwartungsbild des Weins. Liest man Verkostungsnotizen zum „sensationellen“ Bordeaux-Jahrgang 2010, wähnt man sich in einer andern Welt: „Samtenes, dichtes, fruchtiges, komplexes Bouquet, schwarze Beeren, Cassis, Vanille, Edelhölzer, Tabak, Black Currant…“ (Schweizerische Weinzeitung über Léoville-Las-Cases). Nichts davon ist – zum Beispiel – beim ältesten Las-Cases zu finden, den ich getrunken habe. Da tauchen schon eher Malagatöne auf und so etwas wie: Rosenduft. Rosenanklänge in einem Wein? Ja – auch Jasmin, Tomaten, Orange und vieles mehr. Pfingstrosen – botanische Bezeichnung Paeonien – gehören wohl zum exotischsten all der festgestellten Gerüche.

PfingstrosenVor meinem Fenster blühen jetzt wunderschöne Pfingstrosen. Heute habe ich die Nase in die Blüte gesteckt: zuerst leichte Rosendüfte, dann aber ein stumpfer, erdiger Geruch, der mich an abgestandene Zigarrenstummel erinnert. Genau dies finde ich oft in Altweinen. Ist es ein Duft, der mich entzücken kann? Wohl kaum. Und doch lieb ich die Paeonien, genau so wie alte Bordeaux. Die Schönheit liegt bei der Blume in der Farbenpracht, beim Wein im Schmelz der Aromen: trüffelige Anklänge, malzige Töne, leichte Butternoten, aber auch erdige Süsse: Caramel, Mandeln, Schokolade…. Mir wird bewusst, was ein Bouquet sein kann. Eine Serie von rauchigen, toastigen, gerösteten Wahrnehmungen: Vanille, Lakritz, Braten oder Toaste, gefolgt von animalischen Spuren: Leder, Fell, Fleisch, Wild, Wildbrett. Oft kommen auch fruchtige Noten zurück, bis hin zu leicht bitteren Orangen, gedörrten Aprikosen, Rosinen. Es entwickeln sich Aromen von Pilzen, Unterholz, Walderde, Humus. Selbst Trüffelliebhaber kommen auf ihre Rechnung. Gewürzfreaks treffen einen ganzen Kräutergarten an: Minze, Liebstöckel, Lorbeeren, Rosmarin Thymian.

Ich denke mir oft, das sind doch alles Phantasien. Mag sein! Doch sie sind eingebunden in ein Gerüst von Tanninen, Alkohol, Adstringenz und nur da zu entdecken, wo wir alte Weine eingeschenkt werden. Ob es ein tänzerisches Leichtgewicht oder ein schwerer Brocken ist: dahinter verbirgt sich fast immer etwas, das den Wein vielschichtig, einmalig, charaktervoll und genüsslich macht. Nur eines kann ich nicht ertragen: oxydative Noten. „Oxydativ oder reduktiv“ mögen beim Ausbau von Weinen durchaus ein Thema sein. Im gereiften Wein aber haben sie nichts zu suchen. Sauerstoff kann das Gleichgewicht der feinen, oft labilen Aromen mit einem Schlag zerstören. Deshalb ist der Verschluss – damit verbunden – die Aufbewahrung und Lagerung von Altweinen entscheidend. Sobald zu viel Sauerstoff dazu kommt, beginnt in der Flasche ein Prozess, der schliesslich zu einem unappetitlichen Gemisch von Essig, Portwein, Sherry und einer Art Weinbrühe führen kann.

Zwei Geburtstagsweine - Petrus und LatourWerden wir konkret: An meinem 70. Geburtstag öffnete ich – begleitet von vielen Freunden, auch Weinfreunden – einen „Latour“, 1939, einen sogenannten „Geburtsjahrwein“, den mir einmal – vor vielen Jahren – meine Frau geschenkt hat. 1939, ein miserables Weinjahr im Bordelais. Es war eigentlich nur die Magie des Jahres, die auf am Geburtstagsfest spielen sollte. Und sie hat gespielt: Der Wein war nicht nur intakt, er war auch ein echter Genuss. Es war sicher nicht der beste Wein, den ich je getrunken habe. Nicht einmal der beste an diesem Tag. Aber er war eine echte Überraschung. So gut kann ein Siebzigjähriger noch sein! Wenn dies kein gutes Omen ist!

Ein alter Burgunder...Auf meinem Büchergestell steht seit gut einem halben Jahr eine leere Burgunderflasche. Was hat die da zu suchen? Noch eine Wein-Trophäe! „Clos de la Roche“, 1983, Grand Cru, von Pierre Amiot (Côte-d’or). Mein Freund Rémy – ein Burgundkenner – hat die Flasche aus seinem „Museum“ geholt, weil er meine Vorliebe für Altweine kennt. Ein Wein den er eigentlich niemandem mehr aufstellen wollte, ausser mir! Wir haben einen wunderbaren Abend mit der Flasche verbracht. War es der Wein oder schlicht der Mythos eines bald dreissig jährigen Burgunders, der unsere Gespräche beflügelt und den Besuch verschönert hat? Die leere Flasche ist mit mir nach Hause gereist und steht seither auf dem Bücherregal; wartet, dass ich das Weinerlebnis beschreibe. Notizen habe ich keine gemacht. In der Erinnerung tauchen Begriffe auf, wie: vornehm, elegant, verhaltene Fruchtsüsse, schlanker Körper, eigentlich schon abgetreten und doch… In diesem „und doch“ liegt vielleicht das Geheimnis. „Aetherisch, schlank, ausgezehrt, hinüber“, registriere ich auf der streng analytischen Seite, „und doch“ ist es eine Entdeckung, eine neue Erfahrung und schliesslich ein Genuss.
Den Zwiespalt kann auch diese leere, mit Freuden getrunkene Flasche nicht lösen. Kommt er daher, dass ich glaube zu wissen, wie ein Wein – bei allen Unterschieden – zu sein hat: nämlich frisch, fruchtig, dicht, elegant – eben so, wie es in jedem Weinprospekt steht. Tatsächlich werden mehr als 90 Prozent der Weine jung getrunken, innerhalb der ersten 5 Jahre. Dafür gibt es – je nach Rebsorte, Weingebiet und Stil – ein riesiges Angebot an Beschreibungen und eigene Erfahrungen. Sie prägen alle Aussage zum Wein, sie bilden sozusagen den Weinalltag. Es bleiben aber noch jene knapp 10 Prozent der Weine, die sich dem entziehen und abtauchen ins Alter, zu anderen sensorischen Begriffen. Ist es da erstaunlich, wenn nur sich nur wenige aufmachen, den Weinen in diese „andere Welt“ zu folgen? Wozu auch? Gibt es doch genügend hervorragende Weine, die ihre strahlende Jugend zelebrieren. Was brauchen wir da noch die „Alten“?

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