(NM) Süßweine, Dessertweine oder flüssiger Nachtisch. Kaum eine Weinkategorie wird auf Grund ihrer verführerischen Menge an Zucker so in den Himmel gelobt und mit Punkten überhäuft wie Auslesen, Beerenauslesen oder Trockenbeerenauslesen. Doch viele dieser Tropfen leiden nach dem von 9x Punkten getriebenen Kauf an einem bösen Fluch: Jahrzehnte lange Lagerung in den Weinkellern dieser Welt, oder schlimmer, in Ikea-Regalen in den Küchen dieser Welt. Nur getrunken wird das Zeug sehr selten. „Der kann 50 Jahre liegen“ wirft einem der Weinhändler oder Winzer nach dem Abschluss des meist teuren Kauferlebnisses entgegen. Also wandert die Pulle mit einem „2025+“ Schildchen um den Hals ganz nach hinten in den Keller, denn die Suche nach der optimalen Trinkreife gleicht der nach dem heiligen Gral. Aber was genau bedeutet in dem Kontext die optimale Trinkreife? In der Regel ist man fast immer zu früh dran, so spricht zumindest meine Erfahrung als ungeduldiger Weinfreak.
Da aber ein Süßwein auch nur ein Wein ist, gelten in meinen Augen für diesen auch die gleichen qualitativen Messlatten wie für einen trockenen oder freinherben Wein. Und eine unter ihnen ist die schon so oft zitierte Trinkigkeit. Der Wunsch nach dem zweiten Schluck, dem zweiten Glas oder – optimal – der zweiten Flasche sollte auch bei einem Süßwein aufkeimen. Die richtige Balance zwischen Zucker, Extrakt, Mineralität und Säure ist hier ausschlaggebend. Und da habe ich mit der Rebsorte Gewürztraminer in der Vergangenheit nicht wirklich oft gute Erfahrungen gemacht. Die süßen Weine aus dieser aromareichen Rebsorte waren oft vollbepackt bis unter das Dach mit konzentrierten und fast schon kitschig wirkenden Fruchtnoten. Dazu kommt auf Grund des hohen Zuckers und der oft zu niedrigen Säure ein seifiges und marmeladiges Mundgefühl zustande. Da dies nicht wirklich mein Geschmack entspricht, mied ich diese Kategorie in der Vergangenheit. Wenn richtig süß, dann lieber Riesling oder Chenin Blanc. Doch wie es der Teufel so will, ist es nun genau so ein süßer Gewürztraminer, den ich euch heute und hier vorstellen möchte. Ein Wein der mir auf dem Papier überhaupt nicht zusagt, aber mich schlussendlich total fasziniert hat. Hier wurde alles richtig gemacht: 2012 Dautel Gewürztraminer Auslese.
Der Stil des Weingutes Dautel – und damit auch vom „Head of Operations“ Chris Dautel – besteht eindeutig darin, elegante und feine Weine zu vinifizieren. Dies auf eine Gewürztraminer Auslese umzumünzen, bedeutet natürlich eine große Herausforderung. Die Reben für die 2012er Dautel Gewürztraminer Auslese stehen in der „VDP.Großen Lage“ Bönnigheimer Sonnenberg und wachsen dort auf „megageilem“ Schilfsandsteinboden (Betonung auf Steinboden!). Geerntet wurden die Trauben mit End-90ern Oechsle Graden. Um die feine Säure des Gewürztraminers bis in den fertigen Wein zu bekommen, werden die ganzen Trauben nur mit sehr wenig Druck gepresst. Nach der Gärung und dem Ausbau in Edelstahltanks wurde der Wein mit folgenden Werten in die Flasche gefüllt: 52 g Restzucker, 6,0 g Säure und 10% Alkohol. In der Nase herrscht beinahe Woodstock. Reife Birnen und Feigen, „blaue Blüten“, weiße Johannisbeere, etwas Pumpernickel und eine „gelbe Würze“ (?!) werfen sich mir entgegen. Das Ganze hat (Gott sei Dank) keine Litschi und Seife Orgie zu bieten. Dies sind nämlich genau die Eigenschaften, die ich an der Gewürztraminer-Aromatik eher nervend und kitschig finde. Doch hier ist nichts davon zu riechen. Begeisterung! Auch Gaumen kann ich über den Gewürztraminer untypischen Gewürztraminer nur weiter jubeln. Die Süße ist zwar im Moment noch etwas dominant (siehe oben), aber dank der sehr feinen Säure und fast schon tänzelnden Leichtigkeit zeigt sich der Wein mehr wie eine bildhübsche Knospe, die nur darauf wartet aufzugehen. Ein eleganter, feiner, nicht lauter und harmonischer Süßwein, der die so wichtige Trinkigkeit und Balance auch in jungen Jahren schon mit sich bringt. Chris, die Operation Gewürztraminer Auslese ist dir als Erstlingswerk mehr als gelungen. Endlich hat auch diese Rebsorte Einzug in meinen Keller gefunden. Von mir gibt es hier 92+ Punkte. Für 16,60€ ab Weingut eine absolute Empfehlung für Freunde des feinen Süßweines!
Links:
Homepage des Weingutes Dautel
Mehr von Dautel auf Drunkenmonday.
Kollege Dirk Würtz über edelsüße Emotionen aus der Sicht einer Winzers
Hallo Nico,
jetzt tuts mir doch ein wenig leid, daß wir unsere Runde mit den Süßen aus dem Südwesten nicht geschafft haben. Da wäre einiges zur Sprache gekommen und wären einige interessante Gesichtspunkte in den Blick gerückt.
Mir scheint es hier entweder
a. einen riesigen Unterschied zwischen deutschen und „unseren“ Süßen zu geben hinsichtlich Qualitätssteigerung durch Lagerung oder aber
b. es hier wird etwas völlig verwechselt.
Zu a. Unsere Erfahrungen gehen auf keinen Fall dahin, daß Lagerung die Qualität der Süßen steigert. Man müßte da allerdings auch genauer spezifizieren, um welchen Zeitraum wir da reden. Innerhalb eines oder zweier Jahre kann man eventuell davon sprechen, daß sich ein gewisse Eleganz einstellt, die vorher nur jugendliche Wildheit war. Allerdings ist manchmal die Wildheit interessanter und atemberaubender, als die gediegene Eleganz. Danach tut sich eher nicht so viel. Je nach Korkenqualität können noch oxidative Effekte dazu kommen. Allerdings haben wir hier unten auch keine Süßweine, die mit den Säurewerten der deutschen mithalten können. Die Säure mag da ein Punkt sein, der einen Unterschied machen kann. Deren Veränderung könnte dann der Veränderung der Tannine bei den Roten entsprechen.
Zu b. Durch den enormen Zuckergehalt sprechen wir hier ja von etwas, daß sich quasi selber konserviert. Bei entsprechender Lagerung kann so etwas natürlich lange gelagert werden. Und da habe ich so die Vermutung, daß hier ein Analogschluß der nicht zulässig ist, gezogen wird. Weil man von den Roten ja weiß, daß manche Guten erst einmal lange liegen sollten, bevor sie so richtig gut werden, kommt man hier zu dem Schluß, nur weil man die Süßen lange liegen lassen kann, daß die dann auch erst richtig gut werden. Das ist natürlich Unsinn solange wir nicht wissen, wie sich daß mit der Säure verhält. Eine Rolle spielt bestimmt auch die Verwunderung. Ich habe in Olpe einmal zur Entenleber eine 1968er Beerenauslese und es war ein Genuss. Allerdings kann ich nicht sagen, wie der 1969 geschmeckt hat. Ob der Wein also durch die Lagerung so gut, oder halt nur eben „noch“ gut bleibt unentschieden.
Ein anderer Gesichtspunkt müßte auch noch eingegrenzt werden. Der absolute Restzuckergehalt macht da vermutlich noch einen Unterschied. Ob ich über einen Süßwein mit 30g/L oder mit 400g/L rede, kann ja nicht unbeachtet bleiben. Die verhalten sich garantiert über die Zeit anders.
Zu eurem Wein selber : Woodstock hätte ich auch gerne erlebt. Und dann auch noch ein Traminer! Einer meiner Lieblinge. Vielleicht sollte ihr auch mal über so eine Aktion wie HT’s Live-Weinverkostung nachdenken. Wäre ich dabei.
bis zum nächsten Mal
Hallo Karl,
in meinen Augen macht ein Süßwein (egal ob 50 oder 200 Gramm Zucker pro Liter) erst nach einstellen der richtigen „Balance“ richtig Spaß – sprich wenn die dominanten Süße in den Hintergrund tritt, die Säure als Lebensader fungiert und sich in Sachen Aromenkomplexität auch ein „mehr“ abzeichnet. Dieses hatte ich zum Beispiel mit einer 2001er Riesling Auslese von Barth (Rheingau) oder einer 1996er Gräfenberg Spätlese von Weil (ebenfalls Rheingau). Bei BA’s oder TBA’s dauert das in der Regel immer etwas länger 😉 – da war mir die 1991er Weil Gräfenberg TBA immer noch zu Süße-dominierend…
Grüße,
Nico
Traminer oder Gewürztraminer muss man mögen, egal, ob sie süß oder trocken ausgebaut wurden.
Was ich gerade im Glas habe ist ein Traminer vom Pillnitzer Königlichen Weinberg in Dresden, Sachsen
2012, Auslese trocken, 14,5% Alkohol! Wenig Säure, kein langer Abgang, aber weich, typische Honignoten, gelbe Rosen im Bukett, sehr ausgeglichen.
Für etwas über 10,-€ für die Freunde des Traminers einen Versuch wert.
Wer möchte, über den Internetshop der Sächsischen Winzergenosschft Meissen zu bekommen.
Aber sicher nicht lange!