(NM) Hand aufs Herz, wie viele Weine aus dem Gaillac haben Sie schon probiert? Ein, Zwei, Fünf oder sogar gar keinen? Ich muss gestehen, bevor dieser Probe war ich auch einer aus der Null-Gruppe. Nun sind es Dreizehn, aber es werden mit Sicherheit noch viele mehr werden. Der Grund dafür nennt sich Karl Ernst Brunk. Neben seinem Weinimport ist er ein fleißiger Drunkenmonday Leser und sehr kommunikativer Kerl. Somit war er mir von Anfang an schon sympathisch, bevor er mit den Weinen aus dem Gaillac bewaffnet an meiner Haustür klingelte. Herausgekommen ist der faszinierendsten Abende der Drunkenmonday Historie. Ein Abend voller unbekannten Rebsorten, An und Ausbau-Methoden, 18 Jahren alten Schaumweinen und kuriosen Winzergeschichten. Und das alles aus einer Region in Frankreich, die vielleicht das bestgehütetes Weingeheimnis dieser Nation ist. Ihr wollt mehr erfahren? Bitteschön.
Das Gaillac ist die älteste Weinbauregion Frankreichs. Schön die Römer haben vor Beginn unserer Zeitrechnung dort Wein angebaut. Heute umfasst das Gebiet im Südwesten Frankreichs ca. 3000 Hektar Weinberge. Insgesamt sind 32 Rebsorten im Gaillac zugelassen. Neben den üblichen Verdächtigen wie Syrah, Cabernet oder Gamay sind die eigentlichen Stars der Region Rebsorten wie Braucol, Ondenc, Duras, Prunelart, Juracon Noir oder Mauzac. Noch nie gehört? Macht nichts, wir bis zu diesem Abend auch nicht. Ein weiterer und sehr wichtiger Aspekt der Weine der Region Gaillac ist die enge Verbundenheit zur französischen Küche. Von ländlichen und regionalen Gerichten bis hin zur 3 Sterne Gastronomie, die Weine des Gaillac sind ganz ausgezeichnete Speisebegleiter und in den aller seltensten Fällen schwere, massive und auf Parker Punkte getrimmte Wuchtbrummen. Vielleicht ist das auch eines der Geheimnisse der Region, seinem Wein Stil treu zu bleiben und Weine zu produzieren, die Flaschenweise und nicht Schluckweise konsumiert werden sollen/können.
Die Weine des Abends bzw. Karls getroffene Auswahl brachte uns die Philosophie dieser Region sehr authentisch und transparent nahe. Alle von ihnen laufen unter dem „Vin Naturel“ Deckmantel: Naturnahe und biodynamische Bewirtschaftung im Weinberg und möglichst wenig Schwefel und keine Filtration oder Schönung im Keller. Neben passionierten Winzerlegenden wie Robert Plageoles konnte es durchaus vorkommen, dass wir auch Weine von alteingesessenen Brennmeistern oder einfachen Obst und Gemüse Bauern im Glas hat. Dieser unkomplizierte, ehrliche und völlig ungeschminkte Ansatz zum Thema Wein hat uns an diesem Abend sehr fasziniert. Wenn irgendwo das Attribut „ehrlich“ zum Wein passen sollte, dann wohl am ehesten hier: im Gaillac.
Volljähriges Hefelager.
Wir starteten die Probe mit zwei sehr außergewöhnlichen Schaumweinen. Der 1995 Peyres Combes Brut wurde kürzlich degorgiert. Somit verbrachte die Cuvée aus Semillon, Mauzac und Lende-Lell 216 Monate oder auch 18 Jahre auf der Hefe. Herausgekommen ist ein Schaumwein, welcher in seiner Aromatik an eine Mischung aus sehr reifem Champagner und hochwertigem Cognac erinnert. Deutlich oxidativ, (viel Walnuss-Schale, überreifer Apfel) kommt am Gaumen noch eine deutliche Frische mit. Ein skurriler, sehr reifer und doch in sich harmonischer Wein, welcher mit Sicherheit nur wenigen Leuten richtig gut schmecken wird, aber definitiv als Horizont-Erweiterung punkten kann. Schaumwein Nummer zwei war dagegen das krasse Gegenteil. Der Gayasco Bois Moisset würde normalerweise als „Unfall“ im Keller schnell als Fass Ware den Hof Richtung Großindustrieabfüller verlassen. Nicht bei Philipp Maffre. Der Winzer füllt seinen nicht ganz durchgegorenen Gamay mit leichter Mousseux einfach ab und verkauft ihn als fruchtigen Lambrusco Killer. Und genau das ist der Gayasco Bois Moisset auch: Ein ultra feinfruchtiger (Himbeere/Walderdbeere) „Wein“ mit minimaler Süße, weichem Mousseux und einer angenehmen würzigen, herben und leicht bitteren Note im Abgang. Oldschool Lambrusco meets Gaillac – und die nächste Horizont-Erweiterung.
Da geht noch was!
Mit dem 2012er Plageoles „Ondenc“ kommt ein leicht floraler, nach Birnenschale und Mandeln duftender 100% Sortenreiner Ondenc in unser Glas. Mit seiner fast schon noblen und edlen Art ist dieser Wein ein guter Bekannter der französischen 3-Stern Küche. Neben der feinen Säurestruktur und leichtem phenolischen Gripp am Gaumen, wirkt der Wein mit seiner leicht vegetabilen Art sehr animierend und frisch. Die 15% Alkohol konnten wir beim Blick auf das Label kaum glauben. Besser habe ich so hohen Alkohol Gehalt bei einem Weißwein noch nie eingebunden gesehen! Da weiß der Winzer was er tut. Etwas skurriler dann wieder der nächste Wein: 2008 Domain du Castillet Mauzac. Hier wollte es der Winzer genau wissen: Wie viel Holz verträgt mein Wein? Und vor allem wie lange kann ich einen Mauzac im Barrique ausbauen, ohne dass er darunter zusammenbricht? Die Antwort lautet: mindestens 36 Monate. Denn genau so lange reifte dieser 100%ige Mauzac im kleinen Eichenholzfass. Herausgekommen ist Weißwein der etwas anderen Art. Aus dem Glas strömen Aromen von Waldmeister, Zitronenkuchen, Butterteig und leichten oxidativen (Wallnussschale) Noten. Am Gaumen gibt dann das Holz den Ton an. Waldboden, Pilze, ausgelassene Butter und gebuttertes Popcorn/Karamell im Abgang, dazu zupackend in Säure und Tannin – ein reifer und absolut ungewöhnlicher Wein. Ein „Muss“ für Freunde des reichhaltigen und reifen Chardonnay. Sachen gibt es…
Dr. Jekyll & Mister Hyde
Es gibt Roses, die schmecken nach flüchtigen und kurz angebundenen Himbeeren und Erdbeeren. Leicht, fruchtig, easy-drinking, vorne wie hinten, ab dem zweiten Schluck langweilig und austauschbar. Dann gibt es ganz wenige Roses wie den 2011 Cazottes Rosée aus 100% Juracon Noir. Dieser schmeckt zwar auch nach Erdbeeren (in diesem Fall nach einer Walderbeercreme aus den besten Walderdbeeren der Welt, verrührt mit weißer Schokolade – der Wahnsinn!), aber hinter diesem wollüstigen Erdbeerkino kommt eine wunderbare herb/kräutrig, fast schon phenolige Seite, die den Wein zu einem wahren Zwitter macht. Dr. Jekyll & Mister Hyde als Rosé Interpretation. Das habe ich noch nicht erlebt. Nach der puren, feinen und femininen Verführung folgt ein maskuliner, herb-frischer Kick in Richtung Abgang, der den Geschmack des Weines im Mund komplett um 180° auf den Kopf stellt. Muss man probieren um es glauben zu können. Der 2012 Plageoles Mauzac-Noir war dann wieder eher aus der Kategorie der „normalen Weine“. Die Nase des noch sehr jugendlich wirkenden Weins erinnerte mit Aromatiken von schwarzem Pfeffer, Nelke, Himbeere und etwas „Stängel“ sehr an einen Pinot Menieur. Am Gaumen gab es einen blitz-sauberen, eleganten und leicht vom Kalk getragenen Rotwein. Kein dichtes und breites Marmeladen-Monster, sondern einen auf den Punkt vinifizierten Mauzac-Noir. Hier gibt es nichts zu meckern. Ein schöner und sehr ausgewogener leichter Rotwein. Das passt.
Melanie und weitere Schnäppchen
Die nächsten 4 Rotwein waren da schon ein ganz anderes Kaliber. Mit dem 2008er Mas Pignon „Cuvée Melanie“ kam ein so genannter Preis/Leistungs-Hammer ins Glas. Die Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Syrah, Braucol und Duras machte schon in der Nase mächtig Eindruck: Schwarzer Pfeffer, schwarze Johannisbeeren, etwas Brombeere, Lakritz, Kirsche, Espresso und ein wenig Waldboden erinnerten an eine Mischung aus klassischem Bordeaux und würzigem Nord-Rhone Stil. Am Gaumen schmirgelte feines und leicht austrocknendes Tannin wie angeraute Seide an der Zunge. Dank der präsenten Säure Struktur und purem Frucht-Genuss wirkt der Wein sehr saftig und gleichzeitig extrem „wertig“. Für unter 10€ gibt es hier ein fantastisches Preis/Leistungs-Verhältnis. Doch getoppt wurde das Ganze von dem nächsten Wein: 2010 Domain de Brin „Brin de Temps“ – ein „Super-Gaillac“ aus Cabernet Sauvignon, Braucol und Duras. Und wie „super“ der war! Fast schon unverschämt ausladend strömte der Wein aus dem Glas: Lakritz, Tinte, reife Amarena-Kirsche, dazu unendlich tief und würzig. Feinstes Nasen-Kino! Auch im Mund hielt der Wein was die Nase versprach. Eine unglaublich feine und straffe Tannin-Struktur schmeichelte den Gaumen. Ich notierte zudem „Konzentration ohne fett zu sein, Kräuter, Frische, edle Hölzer, unglaublich lebendig – einfach sensationell und sehr edel“. Im Abgang baute sich dann der Fallschirm auf und hinterließ uns einen kurzen Moment sprachlos. 18€ für diesen Wein? Was für ein Schnäppchen!
Kurze Pause, dann Weltklasse.
Der 2011 Plageoles Prunelart ließ uns einen kurzen Moment verschnaufen. Der sehr jugendliche Wein war noch völlig verschlossen und regelrecht zugenagelt. In der Nase konnte man noch leicht geröstete Paprika und abgehangenes Fleisch erkennen, aber am Gaumen blieb der Wein komplett zu und wollte nicht mit uns spielen. Hier konnten wir nur auf die großen Geschichten vertrauen, die uns Karl zu dem Wein erzählte. Die Offenbarung folgte aber auf dem Fuße. Mit dem 2011er Domain du Moulin „Floreintin“ erreichten wir internationales Weltklasse Niveau. Dieser Wein zeigte, was ein großer Winzer mit der gesegnetem Terroir und der Traube Braucol anstellen kann. Die Nase war zum niederknien! Reife und feinste schwarze Johannisbeere, kombiniert mit eleganter und edler Holzwürze, dunkle Schokolade, Espresso-Bohne und frische ätherische Noten strömten aus dem Glas. Ein Duft zum Verlieben. Am Gaumen konnte das hohe nasale Niveau gehalten und sogar noch angehoben werden. Mein Kommentar, dass mich dieser Wein an sündhaft teure Wein wie Mondavi/Chadwick „Sena“ oder Errázuriz „Vinedo Chadwick“ aus Chile erinnert, kam zwar bei Karl nicht so gut an, zeigt aber auf welchem Level hier Wein gemacht wird! Ein Wein in dieser bestechenden Qualität seiner Einzelteile könnte zu einem Aushängeschild der Region Gaillac werden, wenn, ja wenn die richtigen Kritiker diesen Wein in die Finger bekommen würden. Dies ist aber zu bezweifeln und wiederum auch irgendwie gut. Gut für uns. Denn so bleibt solche ein Weinmonument mit seinen 30€ durchaus bezahlbar. 2011 Domain du Moulin „Floreintin“ – den Namen sollte man sich merken! Weltklasse!
Süß, aber kein Wein.
Bei den letzten drei Süßweinen wurden meine Aufzeichnungen immer dünner. Den Bois Moisset „Les Pradels“ Syrah aus dem Jahr 2010 beschrieb ich wie folgt (original Auszug meiner Notizen): Weihrauch, Lakritze, Kräuter (?), derb, hat Haare auf dem Rücken – Krass? Ja, nein, keine Ahnung… Wenn die Sensorik versagt, helfen eben manchmal auch Anglizismen nicht weiter. Den 2011er Brinde Folie „Rose Doux“ (100% aus Braucol) beschreib ich mit seinen 90 Gramm Zucker als leichten, frischen und nicht wirklich süß anmutenden Süßwein, der neben den Pflaumen, Rosinen und Traubenzucker-Aromatiken unglaublich trinkig wirkte. Von seiner Art den Zucker in Trikfluss umzuwandeln, ist er einer klaren Riesling Spätlese von der Mosel nicht unähnlich. Nur eben aus Rotwein-Trauben vinifiziert. Der letzte Wein war eigentlich keiner. Der „Ratafia“ der Domaine de Cailloutis besteht eigentlich aus minimal gegorenem Traubenmost (2/3) und aus dem Trester-Brand der gleichen Trauben (1/3). Herausgekommen ist ein leicht würziger, angenehm süßer Ratafia mit etwa 17% Alkohol. Obwohl „pur“ ein großer Genuss, machte er sich auch ganz vorzüglich als Zusatz in einem knochentrockenen und sehr mineralischen Cava. Diese „das darf man eigentlich keinem erzählen“-Mischung war der absolute Renner einer kurz nach der Probe standgefundenen Gartenparty. Eine ungewöhnliche, aber durchaus 100 Punkte würdige Mischung. Mut zur Lücke.
Jetzt aber: Resümee
Wie man an den doch sehr ausschweifenden Erzählungen sehen kann, hat uns der Abend mit Karl und den 13 Weinen aus dem Gaillac vornehmlich zwei Dinge gebracht: Viele neue Erfahrungen rund um das Thema Wein und ganz viel Spaß. Und darum sollte es doch auch gehen – beim Wein – Erfahrungen durch Geschmack und Geschichte plus eine Menge Spaß. Somit kann man durchaus von einem perfekten Abend sprechen, auch wenn die Weine dies nicht waren. Denn das wollen sie auch gar nicht sein. Die Weine aus dem Gaillac.
Infomation: Wo kann ich das kaufen?
Die Weine unserer Probe gibt es über „Gaillac et Voisins“ zu beziehen.
Noch mehr über die Weine aus dem Gaillac auch auf Geschmackschmiede.de
Pingback: Geschmackschmiede – Kulinarische Köstlichkeiten» Blog Archive » Film zum Spaß – Warum man gerne in Gießen leben könnte.
Beim Stichwort Braucol klickte es gleich, den hab ich Anfang des Jahres kennen gelernt.
Hier wurde er vorgestellt:
http://weinamlimit.de/2013/01/08/76-folge-3-folge-der-frankreich-trilogie/
Angenehm rustikal, erdig, rund, kaum Säure, ein wenig malzig, war mein Eindruck – kann man trinken, hab die zweite Flasche davon bis heute nicht aufgemacht, derzeit finde ich Rotwein mit etwas frischer Säure wie z.B.Sangiovese angenehmer.
Sehr interessante Verkostung, tolle Notizen.
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Das schöne an der Region ist, dass man hier noch Weine fernab des Mainstream bekommt. Ich bin immer wieder froh wenn die Winzer sich nicht von Robert Parken irritieren lassen. Wein lebt wie essen durch seine Vielfalt der Aromen, die durch die speziellen Einflüsse der jeweiligen Region entstehen.
Ich meinen natürlich Robert Parker 😦
Absolut! 100% Zustimmung!
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