(JR) Klimawandel – alles Verschwörungstheorie, so die Skeptiker. Wir Weintrinker wissen es besser.Denn im Weinbau lassen sich ganz konkret und in Zahlen die zum Teil dramatischen Klimaveränderungen der Neuzeit ablesen.
Die nördliche Anbaugrenze von Cabernet Sauvignon hat sich zum Beispiel in den letzten 40 Jahren in Mitteleuropa um rund 800 Kilometer vom 45. bis an den 50. Breitengrad hin verlagert. Verlief sie in den siebziger Jahren noch bei Bordeaux, rückte sie über das österreichische Burgenland und die Donau bis nach Deutschland vor. 1984 stehen die ersten bescheidenen zehn Hektar in Baden, Württemberg und in der Pfalz. Im Jahr 2007 sind es bereits 278 (!) Hektar, mit Pfalz und Rheinhessen an der Spitze. Dies sind zwar nur 0,3% der deutschen Rebfläche, aber der Trend geht ganz klar nach oben. Daher: Anlass für Drunkenmonday, den status quo unter die Lupe zu nehmen. Uns hat neben dem allgemeinen Qualitätsniveau vor allem interessiert, wie sich die Typizität der Traube präsentiert. Kann man vielleicht schon von einem deutschen Stil in Sachen Cabernet Sauvignon sprechen?
Elf mehr oder weniger reinsortige Cabernets haben wir uns dafür genauer angesehen. Leider hatte der 2005er C.S. Weingut Barth / Hattenheim einen fiesen Korkschmecker und ist deshalb aus der Wertung gefallen. Schade, denn im Vorfeld bereits auf dem sympatischen Weingut probiert und für gut befunden, war der Wein der Auslöser für diese Probe.
Um ein möglichst objektives Ergebnis zu erhalten, bleiben die Spielregeln wie gehabt: Blindverkostung, zufällige Reihenfolge, Redeverbot bezüglich der Weine. Das individuelle Ranking wird am Ende zu einem Gesamtergebnis aufsummiert und besprochen. Die Traumnote an diesem Abend wäre sieben Mal Platz eins (7) gewesen.
Das eng zusammen liegende Mittelfeld machte deutlich, dass die Gießener Weingruppe – zum Glück – sehr verschiedene Geschmäcker vorzuweisen hat. Die „Vegetabilen“ unter uns schätzen die grünen Töne im Wein, die „Traditionalisten“ präferieren eher den klassischen Cabernet mit Cassisfrucht und intensivem Tanningerüst. Erster und letzter Platz waren dennoch eine klare Sache und schnell ausgemacht.
Hier die Platzierung und Bewertungen
Platz 10 – 2007 Markus Schneider Pfalz „tohuwabohu“ 19,80€ (58)
„Bereshith bara elohim et hashamajim vet ha’arez, vha’arez hajtah tohu vavohu“. So lautet der erste Satz aus der Bibel auf hebräisch. TOHUWABOHU ist eine Hommage an den jungen Sohn von Markus Schneider, der wohl manches im Haus auf den Kopf stellt. Laut Werbetext (belvini.de) kein easy drinking – sondern ein „genialer Stoff“. Mal sehn. Im Glas eine sehr tiefe Farbe. Nase: leichter Stinker nach Leder, zu viel Alkohol (14,5 %!), Pfeffer, dunkle Beeren, unangenehme off-Note (Abfluss?). Merkwürdiger Geschmack: extrem laktisch, süßlich, wie Traubensaft mit Amarenakirschen, alles irgendwie weichgespült, nicht genial, aber massen-kompatibel. Der Wein wird viel verkauft.
Platz 9 – 2008 Keth Offstein C.S. Rheinhessen „-G-“ 8,80€ (49)
Im südlichsten Zipfel Rheinhessens, in Offstein, ist das Weingut Keth zu Hause. Georg Jakob Keth ist einer der Rotwein-Protagonisten in Rheinhessen. Sein Weinstil zeichnet sich durch kräftige, tanninreiche Rotweine aus, die bis zu 15 Monate im imposanten Barrique- und Holzfasskeller des Weingutes lagern. Der Cabernet Sauvignon „-g-“ mit seiner hellen Farbe und leicht kalkig, pfeffrigen Kirschnase macht hier keine Ausnahme. Dichte Frucht, mittleres Holz, phenolisch leicht bitter, der Alkohol ist nicht perfekt eingebunden. Wenigen schmeckte das griffige, leicht adstringierende Tannin, viele empfanden es als rau und ungeschliffen. Deshalb gab es hier viele hintere Plätze, aber auch eine gute Bewertung. Im Lauf der Probe schlich sich ein feiner Korkschmecker ein, der den eingangs festgestellten leichten Kalkton in einen unangenehmen Kalkmuff verwandelte. Seltsam.
Platz 8 – 2005 Gutzler Rheinhessen C.S. „im Barriquefass“ 22.-€ (45)
Eichelmann und der Gault Millau empfehlen den Wein von Gutzler aus Rheinhessen seit fast einem Jahrzehnt. Gutzler, das steht – laut Werbtext auf vicampo.de – für „dichten Rotwein, im Barrique ausgebaut, vom Stil her äußerst finessenreich und puristisch.“ Die extrem tiefe Farbe zeigt denn auch, wo es lang geht: Hier haben wir einen für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich schweren, dichten Wein im Glas. Die Nase ist zu Beginn etwas verschlossen, duftet dann aber schön nach grüner Paprika; der viele Alkohol und Spuren von Lösungsmittel trüben aber das Bild. Eine gewaltige Kirschfrucht schiebt sich über die Zunge, die an Kirschlikör mit Sahne erinnert. Der Abgang fällt kürzer als erwartet aus. Insgesamt wirkt der Wein sehr weich, „milchig süß“ und eindimensional. Die beworbene Finesse fehlt. Zu teuer.
Platz 7 – 2007 Gutzler Rheinhessen C.S. „im Barriquefass“ 22.-€ (42)
Farbe tiefrot, aber nicht so dicht wie 05er. Das Bouquet wird unterschiedlich empfunden. Positiv: Paprika, Beeren, Pfeffer, Eleganz. Negativ: Grüntöne, Unreife, Gummi. Im Glas ein mittelschwerer Wein, mit eher kühler, mineralische Stilistik, gereifter Johannisbeer Frucht, frischer Säure und gelungenem Holzeinsatz. Viele hintere Plätze, aber auch 2 mal Platz zwei in den Einzelbewertungen. Als Essensbegleiter (z.B. Rinderroulade) könnte der Wein sicher noch mehr punkten! Probieren.
Platz 6 – 2008 Hammel Pfalz C.S. 7,70€ (41)
„Guter Wein zu vernünftigen Preisen“ könnte hier das Motto lauten. Das kleine Familienweingut – bisher ohne großes Renommee und nur durch Zufall mit in der Probe – konnte bei einigen von uns mit seiner typisch grünen Paprika Nase mit Lakritz, der angenehmen Säure und der an Himbeer-Trops aus der Apotheke erinnernden Frucht punkten. Der relativ kurze, leicht bittere Abgang, die „Holzmöbel-Nase“ und die von manchen als „Fake-Frucht“ beschriebene Süße waren jedoch auch nicht jedermanns Sache. Heterogenes Meinungsbild. 24 Stunden später nachverkostet, hatte der Wein im Vergleich zu Platz 5 überraschend stark nachgelassen. Also die Flasche lieber schnell austrinken. Respektables Ergebnis. Der Cabernet ist laut aktueller Preisliste (http://www.weingut-hammel.de/preisliste/preisliste.pdf) schon für 6.-€ ab Weingut zu haben. Preis-Leistungs-Sieger!
Platz 5 – 2007 Egon Schmitt Pfalz C.S. Rotwein trocken 18.-€ (35)
Mehrere Deutsche Rotweinpreise lassen aufhorchen. Der Senior Egon Schmitt hat mit seiner Frau Inge das Weingut aufgebaut, der Sohn Jochen (Geisenheimer Weinbauingenieur) führt die Erfolgsserie fort. Die Trauben werden nach der Handlese in traditioneller offener Maischegärung verarbeitet. Über zwei Jahre lagerte der 2007er dann in neuen französischen Barrique. Tiefe Farbe. Grüne Paprika, feuchtes Heu, tiefe Beerenfrucht, Rösttöne vom Toastbrot, Vanille, dazu reife dunkle Fruchtaromen. Im Geschmack Schattenmorelle, seidige aber präsentes Tannin, Alkohol ist gut eingebunden, nicht laktisch, alles sehr süffig und lecker. Toller Abgang. Am Folgeabend mit noch größerem Genuss zu trinken (dekantieren ist ratsam). Gut!
Platz 4 – 2008 Rings Pfalz C.S. „S“ trocken 19.-€ (34)
Im Jahr 2008 Jahr auf der VDP Liste der Pfälzer Spitzentalente. Im Jahr 2010 die 2. Traube im Weinguide und 2. Platz beim deutschen Rotweinpreis. 2011 hebt der Gault Millau das Weingut in die renommierte 3 Trauben-Klasse. Eine Erfolgsstory.
Im Barrique ausgebaut, zeigt der Wein eine konzentrierte, würzige Nase von Cassis, Vanille, Kakao, Paprika und Holz. Am Gaumen sehr konzentriert und voll, aber auch etwas anstrengend, tiefe Frucht, schöne Säure, etwas pelzige Gerbstoffe, nicht laktisch!, Alkohol gut eingebunden, leider fehlt es etwas an Eleganz und Finesse. Mittellanger Abgang.
Tipp: Das sehr sympathische Pfälzer Weingut bietet vier Doppelzimmer für die Nachtruhe nach ausgedehnten Weinproben an. Ein lohnendes Ausflugsziel.
Platz 3 – 2007 Marco Felluga C.S. Collio DOC 13.-€ (32)
Der Pirat aus Italien – Friaul, zum Abgleich eingeschmuggelt. Ein tief dunkler Wein mit funkelnden Reflexen. Die starke Nase von Paprika, Kirsche, roten Früchten und „Backofen“ (Kakao,Vanille, Puderzucker, Teig, Nüssen) hat vielen gefallen. Der leichte Stinker nach Leder und „alter Oma“ (Schweiß, Veilchen, altes Holz, Möbelpolitur) führte jedoch auch zu der ein oder anderen mittleren Bewertung. Dann ein fruchtiger, weicher und gut strukturierter Gaumen. Grünen Töne von zerbissenen Traubenkernen, Paprika und etwas Apfel. Langer Abgang mit im Rachen deutlich aufsteigendem Alkohol und leichten Bittertönen. Interessanter Wein zu einem stimmigen Preis.
Platz 2 – 2008 Aloisiushof Pfalz C.S. „Ambrosia“ Bestes Fass 20.-€ (29)
Der 24 Hektar große Betrieb wird von den drei Familien Bernhard, Michael und Andreas Kiefer geführt und verdankt den Namen dem Firmengründer. Unter den Top 100 Weinen der Zeitschrift Weinwirtschaft. Der Lagenwein aus der Ambrosia Linie konnten auch uns überzeugen.
Rubinrote Reflexe im Glas. Tolles Aromenspektrum: Grünzeug, Cassis, Brombeere, schnell verfliegender Alkohol, perfekt integriertes Holz. Im Mund sehr cremig, warm, ein dichter Kern aus Kirschfrucht wird getragen von griffigem Tannin. Dazu aber auch unreife grüne Paprika und noch viel Jugendlichkeit. Langer, etwas alkoholischer Nachhall. Dekantieren. Hat Zukunft für 8 Jahre und mehr!
Platz 1 – 2007 Philipp Kuhn Pfalz Cabernet Sauvignon 19,90€ (20)
Philipp Kuhn ist für uns eines der größten Talente in der deutschen Rotweinszene. Wie schon in der zurückliegenden 10.-€ – Pinot Probe kann Philipp Kuhn auch mit seinem Cabernet punkten.
Dunkle ins Violette schlingernde Farbe, „Black Beauty“. Super intensive Nase: Paprika, Pfeffer, Lakritz, unreifer Spargel,würzig, intensive Holztöne und Röstaromen, Beerenfrucht, Bitterschokolade. Sehr schönes Entré auf der Zunge: intensiv, voll, fleischig, rote Johannisbeeren, leicht adstringierende Tannine, laktisch, dicht, lang und lecker. Ein Tester fand, dass die Röstaromen zu intensiv ausgefallen seien, ein anderer, dass die Typizität der Traube nicht mehr richtig zu erkennen sei. Insgesamt aber ein toller Wein mit Charakter.
Fazit:
Eine anspruchsvolle Probe, die uns auch von den Weinen her gesehen nichts schenkte: Viele sehr dichte, alkoholreiche, teilweise „anstrengende“ Weine, ein offensichtlicher und ein versteckter Korkschmecker standen am Ende auf unseren Notizzetteln. Die oft übertriebenen laktischen Töne im Wein zeigen, dass etliche Winzer die Malolaktische Gärung zu sehr forcieren. Hier wäre eine behutsameres arbeiten im Weinkeller von Vorteil.
Deutscher Cabernet-Stil? Sicherlich ja. Zum einen wären da die weichen, schweren, fruchtbetonten Weine zu nennen. Zum anderen die eher „grünen“ Vertreter, die nicht immer ganz so dicht ausfallen. Oft geht auch etwas von der Typizität des Cabernets (Cassisfrucht, Lakritz, intensives Tanningerüst etc.) verloren. Beiden Richtungen mangelt es zudem etwas an Tiefe und Finesse. Die Balance zwischen Frucht, Säure und Tannin ist noch nicht immer stimmig. Entwicklungspotential, dem Klimawandel sei dank!
Toller Artikel Jürgen! Dem kann ich nichts mehr hinzufügen.
Proben wie diese braucht das Land!
An sich etwas enttäuschend, Cabernet hat Limits in Deutschland – und daran stoßen die Winzer jetzt!
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(NM) Also ich persönlich war absoluter Freund des 2007er Gutzlers (mein Platz 2). Durch den tollen Holzeinstatz bekam dieser fast schon eine burgundische Eleganz. Leider ging er etwas im Feld der eher dickeren Vertreter unter. Meine persönliche Entdeckung.
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