Gereifte Bordeaux oder
Der lange Weg in die dritte Dimension
(JR) Welcher Weinafaciando kennt sie nicht, die oft unglaublichen Tasting Notes von gereiften Weinen aus dem Bordeaux. Für Anfänger ein Buch mit sieben Siegeln, für Eingeweihte oft ein Grund anzugeben: Tertiäre Aromen, gereifte Tannine, Harmonie im Glas sind die gängigen Stichworte. Dieser Sache musste Drunkenmonday endlich einmal auf den Grund gehen.
Hier das Lineup:
1994 Chateau Saint-Martin Listrac Medoc AC
1998 Chateau La Rose Haut-Musset LaLande de Pomerol
1999 Chateau Jacques-Blanc Cuvee L´Apogee Saint Emilion Grand Cru
2000 Chateau Jacques-Blanc Cuvee L´Apogee Saint Emilion Grand Cru
2000 Chateau Cantenac Brown Margaux 3eme Grand Cru Classé
2000 Chateau Moulin Haut-Laroque Fronsac
2000 Chateau Léoville Poyferré Saint Julien 2eme Grand Cru Classé
1995 Chateau Smith Haut Lafitte Graves Pessac-Léognan Cru Classé
1986 Chateau Montrose St-Estephe 2eme Grand Cru Classé
1978 Chateau Figeac Saint Émilion 1er Grand Cru Classé
1990 Chateau Figeac Saint Émilion 1er Grand Cru Classé
Los ging es mit einem 94er Saint-Martin Listrac Medoc AC (ca. 12 €). Die Appelation Listrac ist für in der Jugend eher verschlossene, sich dann aber recht solide entwickelnde Weine bekannt.
Als schöner Einstieg gedacht, ließ die bräunliche Farbe nichts Gutes erahnen, was sich dann am Gaumen bestätigte: unharmonisch und mit spitzer Säure hat dieser eher schlanke Wein seine besten Zeiten schon hinter sich gelassen. 80 Punkte
Mit dem 98 La Rose Haut-Musette (20.-€) war da ein ganz anderes Kaliber am Start. Violette Farbtöne im Glas, die Nase mit Noten von Rumtopf und Amarenakirschen, im Mund auf den Punkt ausgereift, volle Brombeeren- und Backpflaumenfrucht, etwas abrupt endender, kürzerer Nachhall, sehr trinksüffig und einfach lecker. 90 Punkte.
Jean-Luc Thunevin ist einer der verrückten Winzer aus Saint Emilion, die für Qualität oft ungewöhnliche Wege gehen. Er erzeugt seine Cuvee L´Apogee (25€) aus einer nur 2 Haktar kleinen Parzelle des Chateau Jacque Blanc. 40 Jahre alte Rebstöcken, Demeter Biowein, geringe Produktionsmenge, ideale Bedingungen, aber hat die Flaschenlagerung Positives bewirkt? Der 99er hat eine etwas verhaltene, mineralisch-elegante Nase von roten Johannisbeeren. Auf der Zunge eine für das Alter erstaunliche knackig frische Säure, tolle Mineralität, „mürbe Tannine“, sowie ein dezenter Bitterton, der nicht von allen als angenehm beurteilt wurde. Im Abgang dann schöne röstige Töne. Die Reifung hat hier nur Gutes bewirkt: Ein feiner, eleganter, burgundisch anmutender Wein, der z.B. zu Rinderbraten einen perfekten Essensbegleiter abgibt. 91 Punkte
Der 2. Flight bestand ausschließlich aus 2000er Gewächsen.
Gleich zu Beginn die erste Überraschungen des Abends. Der 2000er Jacques-Blanc Cuvee L´Apogee (30€) ist zum Jahrgangsvorgänger so deutlich anders ausgefallen, dass zunächst sprachlos-erstaunte Blicke in der Runde schweiften. Dunkle Farbe; „warme Nase“ mit Kräuter und Kirschcola Aromen; runder, weicher, Gaumen, dichter Körper, präsente Tannine, aber auch sattmachend und etwas anstrengend. René Gabriel vergibt 19/20 Punkten, wir sehen den Wein zur Zeit bei 88 Punkte mit Potential.
Chateau Cantenac Brown (40€) aus Margaux ist ein 3eme Grand Cru Classé, der seinem Namen alle Ehre macht. Eine unglaublich irre Nase von Kirsch, Mokka, Mohn, Vanille und Toffee. Im Mund eine gute Säure, kräftiges Tanningerüst, die Kirschnote setzt sich fort, sehr fett und trotzdem elegant. Klasse. Der schöne, aber etwas kurze Abgang sorgte für Diskussionen: qualitätsmindernd oder zum Nachtrinken anregend? Werden durch weitere Lagerung die Röstaromen – wie beim 99er Cuvee L´Apogee – in den Nachhall transportiert, um diesen aufzuwerten? So viele Frage. Parker vergibt 88 Punkte, Drunkenmonday ruft hier 92 Punkte auf.
Der Chateau Moulin Haut-Laroque (30€), von manchen seit dem 2006er als Geheimtipp gehandelt, wäre bei einer Blindverkostung locker als Bordeaux Blend aus Kalifornien durchgegangen. Kürzlich von Rene Gabriele mit 19 Punkten geadelt, konnte dieser dichte Wein aus Fronsac nach dem tollen Cantenac Brown nicht so recht überzeugen. In der Nase zurückhaltend (dezente Tabak und Pinot-Töne), 14% dominierender Alkohol mit fetter Frucht und sehr tanninreich, präsentiert sich der Wein zur Zeit viel zu jung. Für das Geld zudem etwas zu teuer. 88 Punkte.
Ganz heftig dann der 2000er Léovile Poyferré. Dieser Wein ist noch dermaßen zugenagelt, dass sich eine einigermaßen angemessene Bewertung zur Zeit verbietet. Verschlossene Nase (Colabrause, Pfeffer, Lakritze, feuchter Kalk), dann auf der Zunge herbe Tannine, milde Gerbsäure, sehr weich, alles irgendwie „gedeckelt“, wie wenn man einen Ferrari im 1. Gang mit angezogener Handbremse fährt. Die hohen Bewertungen (Parker 95 Punkte, Wine Spectator 96 Punkte ) lassen hoffen. 90-? Punkte
Jetzt zum letzten Flight des Abends.
Mit dem 1995 Chateau Smith Haut Lafitte (40€) hatten wir wieder einen ausgreiften Wein im Glas. Frisch abgerissener Rhabarber, Röstaromen, Gemüsebrühe, krautiges Grün, Hülsenfrüchte, pubsige Süße sind die Stichworte, die uns für die Nase in den Sinn kamen. Im Mund dann Pflaume, gewürzerdig, schlank und pfeffrig scharf, etwas kantig, grüne(?) Tannine. Der Abgang mit Anisnoten und schöner Süße. Ein interessanter, durch die Flaschenreifung jetzt sehr ausgewogener Top-Wein. 92 Punkte
Der 1986 Chateau Montrose wäre ohne fiesen Korkschmecker sicher ein Higlight gewesen. Schade.
1978 Chateau Figeac . Eingangs leicht muffig – pilziger Geruch, wie ein alter Riesling, im Gaumen mit milder Frucht und leicht eisenhaltig, schien der Wein seinen Höhepunkt hinter sich gelassen zu haben, war aber noch nicht “um“. Dann die zweite Überraschungen des Abends. Der Figeac öffnete sich zusehends und wurde immer geiler. Pfeffer, Röstnoten und Vogelbeere in der Nase, eine unglaubliche Eleganz entfaltend, extraktreich, morbid-spätherbstlicher Wald: Da waren sie, die tertiären Aromen! Gefallen hat das nicht jedem in der Runde, wer aber einmal auf den Geschmack gekommen ist, kommt davon nur schwer wieder los. 93 Punkte
1990 Chateau Figeac. Die Nase roch nach Wildschweinbraten, Beeren, Unterholz und hatte eine dezente, merkwürdige Off-Note (Badezimmer?). Ein möglicher Korkfehler wurde kontrovers diskutiert. Im Mund sehr schmelzig und cremig, seidiges Tanningerüst, volle Beerenfrucht, schön eingebundene Säure, eine unglaubliche Eleganz entfaltend. Langes Finale. Großer Sport. 97 Punkte
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der 2000er Jahrgang nach 10 Jahren (!) erst am Anfang seiner Entwicklung steht. Die Flaschenreifung fügt den dafür ausgebauten Weinen in der Tat eine 3. Dimension hinzu. Die z.T. skurrilen Geschmacksnoten werden aber nicht jedem(r) zusagen. Zudem gilt es, den jeweils richtigen Reife-Zeitpunkt abzuwarten. Nichts für Anfänger und Ungeduldige, aber lohnenswert für ein Weinerlebnis der besonderen Art.
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